Wer jemals dieses harmonische Durcheinander von vorzeitlichen Ochsenkarren, Jeeps, Bussen, LKWs, Motorraedern, Fahrraedern und Rikschas, aufgelockert durch versprenkelt eingestreute Fussgaenger erlebt hat, fragt sich, warum wir Verkehrszeichen und eine StVO brauchen. Verkehr funktioniert hier ausschliesslich mit sehr viel Umsicht, vorausschauendem Fahren und ebensolcher Ruecksichtnahme.
Unsere Fahrt nach Amgaon fuehrte uns in 8 Stunden durch geschaeftige Doerfer, vibierende Staedte, Waldgebiete und fruchtbares Ackerland. Jetzt sind wir hier auf dem Krankenhausgelaende mit Blick auf den Brahmuni Fluss untergebracht und schlafen auf massiven Hartholzdielen, die auch den allgegenwaertigen Termiten Paroli bieten. Weil wir jeden Tag so viele neue Eindruecke sammeln und ordnen muessen, schlafen wir trotzdem wie Babys. Verpflegt werden wir bestens vom indischen Doktorehepaar, die im Nachbarhaus residieren. Es gibt viel Gemuese mit Reis und verschiedene Arten von Fladen, dazu obligatorisch Dhal, eine Art Kichererbsenbrei. Gewuerzt wird viel mit Koriandergruen, “turmeric” und Kummin. Trinkwasser wird gefiltert und abgekocht, so dass wir bisher von Durchfall verschont geblieben sind.
Amgaon, zu Deutsch Mangodorf, vor 4 Generationen noch ein “Koenigsdorf”, gruppiert sich um einen Festplatz und besteht aus etwa 100 Haushalten, mehrheitlich als Mehrgenerationenhaus gelebt. Die Familien haben durchschnittlich 3 Kinder – vielfach kuemmern sich die Vaeter um die Kleinen, sei es im Krankenhaus oder auf der Strasse.
Kuehe, Wasserbueffel und Ziegen tragen neben dem Reisanbau zum Unterhalt bei. Einmal waren wir bei einem pensionierten Landwirtschaftsberater, dessen Hof mustergueltig gefuehrt ist. Vor dem Haus Blumenbeete, eine mit Wein berankte Pergola und einige Oelbaeume. Auf dem Feld 2000 Bananenpflanzen und Huelsenfruechte. Ein tiefer Brunnen versorgt die Pumpe mit dem noetigen Wasser und sorgt so fuer ganzjaehrigen Ertrag. Es gibt noch 2 Kuehe und den Sohn plus einen Kuli als manpower – wenn das Krankenhaus so effektiv arbeiten wuerde, waeren wir nicht hier!
In den umliegenden Doerfern und Kleinstaedten wurden wir neugierig beaeugt – Weisse kommen hier nur aeusserst selten vorbei und fuer viele Inder sind wir die ersten Menschen dieser Rasse, die sie zu sehen bekommen. Entsprechend gross ist die Menschenmenge, die sich im Nu um uns versammelt und wir sind dankbar, dass Drs Horo bei uns sind und uebersetzen, denn Englisch wird hier nur von ganz Wenigen gesprochen und ist auch dann nur schwer verstaendlich – das wird in Kalkutta sicher anders sein.
Dschungelkrankenhaus Amgaon
Die Situation im Krankenhaus erinnert in Vielem an Tanzania und dennoch ist es natuerlich anders. Die Disziplin wie auch die Ausbildung ist deutlich schlechter, das Patientenaufkommen entsprechend gering. Enno hilft beim Ultraschall und der allgemeinen Betreuung der Patienten, ist aber im Wesentlichen damit beschaeftigt, Informationen ueber die medizinischen Ablaeufe, Finanzen, Personalsituation etc. fuer den Bericht an die Gossner Mission in Berlin zu sammeln. Sie unterstuetzen das Krankenhaus mit jaehrlich 20.000 Euro und wollen wissen, wo das Geld bleibt und welche Art von Arbeit hier geleistet wird, bzw. wie die Perspektive dieses Komplexes ist. Fraglich ist auch, ob die indische Gossner Kirche als Traeger geeignet ist – von Medizin und KH-Management haben die halt keine Ahnung und nur von Patientengebuehren kann man hier kein KH betreiben.
Abgesehen von unseren offiziellen Aufgaben geniessen wir die Ruhe dieses abgeschiedenen Ortes, freuen uns an den bunten Farben der Kleidung der Frauen und an der Schoenheit ihrer Gesichter. Die meisten Menschen hier reagieren sehr freundlich auf uns – leider kann kaum jemand Englisch, so dass die Kommunikation doch sehr begrenzt ist. Aber “Namaste” oder “Namaskar” kommt als Gruss immer gut an.
Dank Mobiltelefon, das hier selbst von den “coolees”, also den nicht ausgebildeten Landarbeitern, genutzt wird, konnten wir mit Hilfe von Alex in Ranchi unsere Weiterfahrt nach Kalkutta, Varanasi und Agra organisieren. Man muss Zugtickets gerade in der Ferienzeit (das bedeutet sogar im hinduistischen Indien auch um Weihnachten und Sylvester), Fahrkarten langfristig vorbuchen und momentan stehen wir noch auf Warteliste, aber wir sind ganz zuversichtlich, dass alles klappt.
So, das war’s fuer heute, der Strom ist gerade mal wieder ausgefallen. Wir gruessen euch aus dem warmen West Bengalen ( wir haben gehoert, dass es in Deutschland schneit und bitter kalt ist …) und sind gespannt, wie unser Weihnachtsfest ablaufen wird …